Texte

Eine kleine Auswahl….


Geflügelte Worte

Fliegen ist ein schwebendes Verfahren
Gummi ein dehnbarer Begriff
Und Vogel ein geflügeltes Wort

Die Giraffe ist ein hohes Tier
Die Liebe existiert häufig nur fiktiv
Der Füller: bloß ein Auslaufmodell
Und Wallenstein? Was für eine schillernde Persönlichkeit!

Das Stichwort heißt Messer
Wer aber kennt das Code-Wort?

 

Der Tod in Venedig

Nach dem Prozess fand ich in der Kartause von Parma in schwindelnden Höhen endlich wieder zur Leichtigkeit des Seins zurück. Zuvor war die Lage unerträglich. Der Richter und sein Henker konnten mir die Beteiligung am Tod in Venedig nicht nachweisen; für Schuld und Sühne an der furchtbaren Auslöschung musste ein anderer, ein Fremder, die Verantwortung übernehmen. Wer hatte den reichen Spieler umgebracht, der in der Lagune einsam lebte wie ein Robinson Crusoe auf der Insel des verlorenen Tages – nur er allein, der alte Mann und das Meer, ein Steppenwolf auf einer Schatzinsel? Die Spuren am Tatort waren wie vom Winde verweht, es herrschte völlige Blendung. Nur ein sonderbarer Geruch lag über dem Geschehen. War dies der Duft des Mörders?

Wer also hatte den Spieler auf dem Gewissen? War es der blutrünstige Pate, der hinterlistige Untertan oder etwa der geheimnisvolle Mann ohne Eigenschaften? Mit Sicherheit konnte man sagen, und da musste man kein Sherlock Holmes sein: der Mörder war kein Idiot. Die Ermittler tappten lange im Dunklen und verzweifelten fast auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Über Wochen und Monate hieß es hoffnungslos, quo vadis Commissario Montalbano? Schließlich konnte ein Medicus, der furchtbare Dr. Faust, in seinem Geisterhaus überführt werden. Sein extravagantes Parfüm – wie war nochmal der Name der Rose? – hatte ihn verraten. Unten am Fluss gestand er endlich unterm Rad die Tat. Die Kammer des Schreckens verurteilte ihn zu hundert Jahren Einsamkeit in der Strafkolonie.

 

POUR LES BELLES INCONNUES

Von Angesicht bist, Süße, schön du nicht.
Leicht legt um deine Lippen sich ein Flaum.
An Amazonen Höh´ es dir gebricht,
Und dick das Bein, dreht es beim Tanz sich kaum.

Was auf der Rippen Bein man kläglich misst,
Des ist des Rückens Boden schwer bedacht.
Das Ohr gar weit gleich einem Segel ist
Und schief der Mund, selbst er von Herzen lacht.

Doch sei auch hundertfach das Aug´, das schielt,
Und tausendfach die Nas´, die spitziglich
Und zeigergleich in ferne Weiten zielt:
Der Welt ein Mond, bist Venus du für mich.

Ist einer Walnuss Schal´ nicht grad adrett,
Macht mir der süße Kern darin den Mangel mehr als wett.

 

Das Verhör

Detective Rupert McCormick rückte sich den Resopal-Stuhl zurecht, strich über seine schlecht sitzende Krawatte, drückte dann die Aufnahmetaste des Rekorders und wandte sich mit kaum verhohlener Genugtuung seinem Delinquenten zu.

“So, da wären wir also. Sie haben uns ja lange genug auf Trab gehalten. Jetzt ist das Spiel aus, und Sie werden endlich für Ihre Taten blechen. Wie soll ich Sie eigentlich verdammt nochmal anreden? Sie waren ja unter allen möglichen Namen in der Weltgeschichte unterwegs: Gott, Jahwe, Jehova, Herr der Christenheit, Schöpfer, Allmächtiger. Was bitteschön darf’s denn sein?”

Der Verdächtige trug einen beigen Leinenanzug, einen dazu passenden Panamahut und hellbraune Chelsea-Boots. Ein kurz geschnittener grauer Bart umrahmte seine schmalen Lippen. Auf McCormick wirkte er wie ein in die Jahre gekommener Dandy, der gerade von einer ausgedehnten Kreuzfahrt zurückgekehrt war. Er hätte auch gut und gerne einen kubanischen Mafioso aus den 1950ern abgeben können. 

“Vater”, sagte der Angesprochene. “Nennen Sie mich einfach Vater, Detective, das genügt.”

Sie hatten ihn oben in Illinois in einem Städtchen namens Hopedale schlafend auf einer Parkbank entdeckt und anhand seiner Tätowierung, einem von Strahlen umkränzten Dreieck mit einem Auge in der Mitte, eindeutig identifiziert. Sturzbetrunken wie er war, ließ er sich widerstandslos abführen. Nietzsche hatte sich geirrt, dachte McCormick und lächelte in sich hinein, der Alte war zwar nicht mehr taufrisch, aber immer noch quicklebendig.

„Was hatten Sie in dem Kaff eigentlich zu suchen? Ist doch überhaupt nichts Besonderes dort – außer vielleicht eine schlecht gesicherte Filiale der Western Union Bank.“

„Sie vergessen die ehrwürdige Kirche St. Mary in the Fields.“, gab der Angeklagte mit einem süffisanten Unterton zurück, „Wundervolle Holzarchitektur aus den frühen Siedlertagen. Sollten Sie sich bei Gelegenheit mal anschauen.“

“Also gut, Mr. Vater“, grunzte McCormick, „dann wollen wir mal anfangen.” 

Der Detective entnahm dem fast einen Meter hohen Aktenberg auf seinem Tisch die oberste Mappe und begann darin zu blättern.

“Meine Fresse, Ihr Strafregister ist so lang wie der Weg zum Mond und wieder zurück. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Beginnen wir mal mit den kleineren Delikten.”, sagte McCormick und konnte sein Vergnügen kaum verbergen. “Was war das für eine merkwürdige Geschichte mit diesem Abraham und seinem Knaben Isaak? Sie verlangten ernsthaft von einem Daddy, dass er Ihnen seinen Sohn opfert? Was für ein kranker Scheiß! Ich schätze, hier zeigt sich Ihre ganze Skrupellosigkeit schon in Reinkultur.”

Der Angeklagte räkelte sich auf seinem Stuhl, legte seinen Kopf in den Nacken und grinste hämisch bevor er sprach:

“Ach, mit dieser alten Geschichte kommen Sie mir! Ich habe das längst mit dem guten alten Abe bei einem Drink geklärt und ich schätze, er hat kapiert, wie es gemeint war. Ich bin sogar mit ihm und seiner Familie ans Meer gefahren und habe Isaak das Fliegenfischen beigebracht. Und vergessen Sie nicht: Ich habe später meinen eigenen Sohn für diese verfluchte Menschheit geopfert. Und das nicht einfach so zum Jux.”

“Na gut, dann kommen wir jetzt zu den dickeren Brocken.”, sagte McCormick und pulte mit einer umgebogenen Büroklammer die Reste seines Lunchs aus den Vorderzähnen. ”Sintflut und Sodom und Gomorrha. Klingelt da bei Ihnen etwas? Da haben Sie ja damals ein paar ganz schöne Massaker angerichtet unten in Palästina.”

“War mir ja klar”, sagte der Alte bedächtig, “dass Sie auch darauf zu sprechen kommen. Wissen Sie, Detective, das hat alles damit angefangen, als ich diese Brut aus dem Paradies verjagt habe. Sie mussten ja unbedingt vom Baum der Erkenntnis essen, als hätte es nicht genug anderes Obst in dem Laden gegeben. Sie wissen schon, dieses Apfel-Dings mit Adam und Eva. Ich hatte diese Ignoranten ausdrücklich gewarnt. Von da an ging die Chose nur noch bergab. Die Menschen begannen komplett durchzudrehen. In ihrem Größenwahn hielten sie sich sogar für klüger als mich, stellen Sie sich das mal vor! Ich wollte sie mit diesen Strafen zur Vernunft bringen, ihnen eine Chance geben, nochmal neu anzufangen bevor der Trouble richtig losgeht. Aber Sie wissen ja, was dabei herausgekommen ist. Jetzt sind sie auf dem besten Weg, sich selbst auszurotten. Sie brauchen mich nicht gar mehr für diesen Job. Das kriegen die schon ganz alleine hin!”. Der Alte hatte sich ziemlich in Rage geredet und tupfte mit einem Taschentuch die Schweißperlen von seiner Stirn.

“Amen”, sagte McCormick und faltete seine Hände. “Okay, Freundchen, Schluß mit den Spielchen. Dann wollen wir jetzt mal zur Sache kommen. 15. April 1974, Lance Creek, Wyoming. Ein sonniger Montagmorgen. Die Vögel zwitscherten. Die Schulmädchen trugen wieder  kurze Röcke. Sie haben an diesem Tag einen Geldtransport überfallen und kaltblütig drei Wachleute erschossen: Jeff Bearns, Matthew di Santo und den erst 18-jährigen Chuck Lonegan.”

Der Angeklagte zuckte zusammen, als wäre in ihn ein Blitz gefahren. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer grässlichen Grimasse, aus seinen Augen sprühte Feuer. Die Fratze des Teufels, dachte McCormick unwillkürlich. Dann fasste der Alte mit einer schnellen Bewegung in seinen rechten Stiefel und ließ eine Deringer zum Vorschein kommen. Doch bevor er abdrücken konnte, feuerte McCormick aus einer eigens für diese Zweck unter dem Tisch angebrachte 45er Magnum. Er erwischte ihn direkt ins Herz. Der Alte gab noch ein leises Plopp-Geräusch von sich, wie von einer sanft entkorkten Champagnerflasche, bevor er sich von dieser Welt verabschiedete.

Am Abend saß McCormick mit einem Scotch in seinem Wohnzimmer und dachte über die Ereignisse des Tages nach. In einem hatte der Alte Recht, sinnierte der Detective, die Menschheit war ein gottverdammter Sauhaufen und hatte es längst verdient, erledigt zu werden. Aber mit dieser Sache in Wyoming hatte er den Bogen überspannt. Das ging eindeutig zu weit. War höchste Zeit, dass dieser Irre, der sich als Jehova, Schöpfer, Allmächtiger und sonstwie ausgab, für alle Zeiten über den Jordan gegangen war. Nietzsche, dachte McCormick mit einem breiten Grinsen im Gesicht, Nietzsche konnte jetzt wieder ruhig weiterschlafen.